Passend zum Totengedenken am Ewigkeitssonntag hielt der Kriminalbiologe Dr. Mark Benecke die Kanzelrede in der Duisburger Salvatorkirche. Er gedachte der Toten vor allem aus einem wissenschaftlichen Blickwinkel, daran ließ er keine Zweifel aufkommen. „Zu den geistlichen Dingen werde ich nichts sagen, dafür bin ich nicht zuständig“, betonte er. Vor seiner Rede hatte der bekannte Sachbuchautor, Vortragsreisende, Podcaster, Tattoo-Enthusiast und Spaßpolitiker allerdings einen privaten Gänsehautmoment. Bei dem von Pfarrerin Sarah Süselbeck gestalteten Gottesdienst wurde der 90. Psalm gelesen. „Hammer! Den vierten Vers davon habe ich auf meinem Stern stehen, der vor dem Kölner Dom liegt“, staunte der Kölner Lokalpatriot, der sich an der großen Spendenaktion für den Dombauverein beteiligt hat. Der Vers „Tausend Jahre vergehen vor deinen Augen, als wäre es gestern gewesen“, fasst gut zusammen, wie Benecke die Epoche der Menschen auf Erden einschätzt. „Wir sind eine Blase, die eine ganz kleine Rolle gespielt haben wird“, sagte er „Wir Menschen werden auf jeden Fall von der Erde verschwinden, das ist ganz sicher.“ Wie schnell jeder einzelne von uns nach dem Tod verschwindet, dass hängt von vielen Faktoren ab, mit denen sich Benecke in den Kellern der Kapuzinergruft von Palermo und auf der legendären Body-Farm in Tennessee befasst hat. „Wenn es warm und feucht ist, sind Sie in der Natur in einer Woche skelettiert“, stellte er seiner Zuhörerschaft in Aussicht. Viele der Zuhörer waren als Fans des populären Biologen gekommen und zuckten bei dieser Aussicht nicht mit der Wimper. Benecke hatte für die große Leinwand viele Bilder von Leichen in unterschiedlichen Stadien des Verfalls mitgebracht. „Die vielen allein zuhause Verfaulten sehen normalerweise nur die Polizisten und Leichenbestatter“, sagte er und appellierte an jeden Einzelnen, sich um die Vereinsamten zu kümmern, ehe es zu spät ist: „Wir haben zehntausend Selbsttötungen im Jahr, das ist eine gewaltige Zahl.“
„Alles Fleisch ist wie Gras“, sang das Ensemble Salvocal unter der Leitung von Marcus Strümpe aus dem Deutschen Requiem von Johannes Brahms. Unter dem düsterem Grollen der Pauken erscholl die herzzerreißende Klage über die Vergänglichkeit des Menschen. Für den Biologen hat der ewige Kreislauf zwischen Aufblühen und Verrotten gar nichts Bedrohliches. Er plädierte für Särge aus Pilzgeflecht und sprach sich vehement gegen die Urnenbestattung aus. Verbrennung sei eine Verschwendung wertvoller Biomasse und umweltschädlich. Für die Umwelt solle man lieber auf alle tierischen Produkte verzichten, da das erwiesenermaßen nötig sei, um die Erde zu erhalten. Bewahrung der Schöpfung also „aber auch konsequent durchziehen, alles andere ist bloß Rumgelaber.“
Benecke zeigte sich in Anschluss beeindruckt von der Musik und der „gewaltigen Andacht“, zu der er seinen Teil beigetragen hat. Er bestimmte auch den Kollekten-Zweck. Der Verein Tierbefreier e. V. hilft Tieren in schlechter Haltung und wird von dem Biologen unterstützt. Benecke hatte nach der Rede noch lange nicht Feierabend. Vom Büchertisch mit seinen populärwissenschaftlichen Werken aus bildete sich eine lange Schlange von Fans, die durch den Mittelgang der Salvatorkirche um Autogramme und Selfies mit dem Kanzelredner anstanden.
Text: Sabine Merkelt-Rahm
INFO ZUM FORMAT KANZELREDEN:
Das Format „Kanzelreden“ hat der Evangelische Kirchenkreis Duisburg (www.kirche-duisburg.de) anlässlich des 400 jährigen Jubiläums der 1. Reformierten Generalsynode entwickelt, die vom 7. bis 11. September 1610 in der Salvatorkirche tagte. Diese Synode hat nicht nur bleibend die Kirchenordnung der Evangelischen Kirche im Rheinland geprägt, sondern hat auch erstmals in der Geschichte der Kirchen Nicht-Theologen auf Augenhöhe und gleichberechtigt in Entscheidungsprozesse einbezogen. Dieser Impuls wurde in den Kanzelreden aufgenommen, wo gezielt Nicht-Theologen gebeten werden, zu relevanten gesellschaftlichen Entwicklungen das Wort zu ergreifen. Dies haben seit 2010 u. a. Charlotte Knobloch, Dr. Jürgen Schmude, Fritz Pleitgen, Manni Breuckmann, Prof. Dr. Udo Di Fabio, Kai Magnus Sting, Prof. Dr. Norbert Lammert, Dr. Gregor Gysi und Katrin Göring-Eckardt getan.
Das Bild zeigt Dr. Mark Benecke bei der Kanzelrede in der Duisburger Salvatorkirche am 20.11.2022 – gut gelaunt und zusammen mit Pfarrerin Sarah Süselbeck (Foto: Rolf Schotsch).